Entziehung Minderjähriger - Entfernung des sorgeberechtigten Elternteils in das Ausland

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Insbesondere bei Ausländern und Personen mit Migrationshintergrund wird häufig damit gedroht, Kinder oder andere Familienangehörige in das Ausland zu verbringen, wo sie dem Zugriff der deutschen Behörden entzogen sind.

Entziehung Minderjähriger

Der  1. Strafsenat hat mit Beschluss vom 17.09.2014 festgestellt, dass eine Entziehung Minderjähriger auch dann vorliegt, wenn ein sorgeberechtigter Elternteil zwangsweise für eine gewisse Dauer von seinem unter achtzehnjährigen Kind entfernt wird. Das Landgericht hatte über folgenden Sachverhalt entschieden:

Der Angeklagte und seine Ehefrau haben zwei gemeinsame Kinder, die am 15. Dezember 2004 geborene M. und den am 14. April 2006 geborenen Y. Nach jahrelangen Ehestreitigkeiten ließ der Angeklagte, der eine neue Lebensgefährtin hat, im Januar 2012 beim Familiengericht in Istanbul eine Scheidungsschrift einreichen und beantragte die Übertragung der elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder auf seine Ehefrau.

Er fasste dann den Entschluss, sich seiner Ehefrau „gänzlich zu entledigen“ (UA S. 35), indem er sie auf Dauer in die Türkei zu deren Familie zurückschickte, während er die beiden Kinder bei sich in Deutschland behalten wollte.

Anfang 2012 eröffnete er seiner Ehefrau, dass er sie in die Türkei abschieben werde, die beiden Kinder aber bei sich behalten wolle. Als seine Frau erklärte, sie werde das nicht tun, drohte der Angeklagte ihr mit dem Tode, wenn sie nicht in die Türkei ginge. Die Geschädigte nahm die Drohung ernst und ließ sich vom Angeklagten gegen ihren Willen dazu zwingen, ein Flugzeug in die Türkei zu besteigen und ihre Kinder in Deutschland zu lassen. Erst im Dezember 2012 kehrte sie mit Hilfe Dritter nach Deutschland zurück.

Den Eltern „entzogen“ ist der Minderjährige schon dann, wenn das Recht zur Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1996 – 4 StR 35/96, NStZ 1996, 333, 334 mwN).

Grundsätzlich kann eine Kindesentziehung auch von einem Elternteil gegenüber dem anderen begangen werden, sofern jedem Elternteil das Personensorgerecht zumindest teilweise zusteht (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - 4 StR 594/98, BGHSt 44, 355, 358).

Vorübergehende Trennung

Eine Strafbarkeit scheidet in den Fällen aus, wenn die räumliche Trennung nur ganz vorübergehender Natur ist. Dies ist in der vorliegenden Entscheidung jedenfalls nicht der Fall.

Öffentliches Interesse

Voraussetzung ist weiterhin, dass die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse bejaht (§ 235 Abs. 7 StGB). Dies war vorliegend der Fall.

Nötigung

In dem vom 1. Strafsenat entschiedenen Fall wurde der Angeklagte auch wegen Nötigung verurteilt:

„Hier geht der Nötigungserfolg aber über die Kindesentziehung hinaus, da der Angeklagte insbesondere auch das Ziel verfolgte, sich seiner Ehefrau durch deren zwangsweise Entfernung ‚gänzlich zu entledigen‘. Er wollte also insoweit nicht nur eine räumliche Trennung von gewisser Dauer, die bei § 235 StGB unter Umständen einige Stunden betragen kann (vgl. u.a. BGHSt 10, 376 ff.).“

Der Verfasser, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, ist häufig mit den Straftaten ausländischer Mandaten bzw. migrationsbedingter Straftaten befasst.

Er führt als Dozent für den Verband Deutscher Anwälte Fortbildungen nach der Fachanwaltsordnung für Fachanwälte für Strafrecht durch. Rechtsanwalt Steffgen ist zudem zertifizierter Verteidiger für Jugendstrafrecht (VdSRV).


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